Ungefragte Preiserhöhung

Die Anwohner der Reitsberger-Siedlung in Vaterstetten staunten nicht schlecht, als sie zu Beginn des Jahres ihre Heizkostenabrechnungen öffneten: Teilweise 700€ sollten Sie mehr zahlen, ohne jegliche Ankündigung. Vorgegangen waren fehlerhafte Verträge. Die Anwohner ließen das nicht gefallen und wendeten sich auf einer Infoveranstaltung an die Gemeindewerke. Gemeindevertreter waren auf der Veranstaltung jedoch gar nicht anwesend.

Outsourcing vor der eigenen Haustür

Die Gemeindewerke sind ein Kommunalunternehmen unter dem Namen Gemeindeentwicklung Vaterstetten, also ein Unternehmen der Gemeinde. Im Jahre 2015, vor knapp 2 Jahren, hieß es vom kaufmännischen Vorstand Georg Kast, Referent des Bürgermeisters, die Gemeinde werde die Nahwärmeversorgung des Ortes übernehmen – „auch ohne Stadtwerke“, wie unsere Kollegen der Ebersberger Zeitung im April 2015 berichteten. Umso verwunderlicher ist, dass die Gemeindewerke für ihre Kunden ausschließlich in Rosenheim erreichbar sind. Die Verwaltung haben nämlich die dortigen Stadtwerke übernommen. Aus der angeblichen Nichtbeteiligung Dritter an der Fernwärmeversorgung Vaterstettens ist also eine Beteiligung geworden – wenn auch nur vorübergehend.

Die anwesenden Vertreter der Stadtwerke erklärten, dass man längerfristig Mitarbeiter ein eigenes Gemeindewerk mitsamt seiner Mitarbeiter aufbauen wolle. Die Stadtwerke fundieren hierbei als Dienstleister. Beim Infoabend, zu dem zahlreiche Anwohner, die sich klare Antworten erwarteten, erschienen waren, waren ausschließlich Mitarbeiter der Stadtwerke gekommen. Seitens der Gemeindeverwaltung war kein Vertreter erschienen. Angeblich auf Wunsch von Klaus Hollaichner, Projektleiter der Stadtwerke in Rosenheim. Er wollte aus der Veranstaltung „keine politische Plattform“ machen, obwohl Gemeindevertreter kommen wollten. Anders verhielt es sich beim Gemeinderat: Vier Mitglieder kamen zur Veranstaltung – zwei davon selbst vom Kommunalunternehmen betroffen.

Modellsiedlung

Die Reitsbergersiedlung entstand als Vorzeigeprojekt in Sachen Umweltschutz. Sie war und ist Vorreiter bei der Fernwärme und ist bislang das einzig mit Fernwärme versorgte Wohngebiet in der Gemeinde. Die Heizkostenpreise wurden in langen Verhandlungen erkämpft: Mittels einem niedrigen Grund- und einem dafür höhreren Arbeitspreis konnten die Anschlussinhaber durch effizientes Heizverhalten ihren Verbrauch senken – dafür wurden die Häuser energietechnisch sehr gut ausgestattet, zum Beispiel mit guten Dämmungen. Bis 2015 sorgten die Bayernwerke für die Versorgung. Seit dem Betreiberwechsel von den Bayernwerken ist die Gemeindeentwicklung Betreiber des Kraftwerks und der Energieversorger. Die Verträge liefen trotz der Übernahme weiter – bis vor kurzem, denn da haben die Anwohner neue Verträge zugeschickt bekommen. Und waren darüber mehr als unglücklich.

Viele Betroffene waren beim Infoabend anwesend. Foto: Leon Öttl

Eine Drohung, als Rechnung getarnt

Die Bewohner trauten ihren Augen nicht, als sie Mitte Januar ihre Heizkostenabrechnungen, die uns vorliegen, erhalten. Teilweise mehrere Hundert Euro mehr sollten einige Anwohner zahlen. Auch einige, deren Preis günstiger wurde, widersprachen den Rechnungen – aus Solidarität, denn als Nachbarn halte man schließlich zusammen, so ein Anwohner, der sich mit dem neuen Tarif nur wenige Euro sparen würde. „Unglücklich verlaufen“ sei der Versand der Rechnungen, so Hollaichner. Sie sei jedoch keine Nötigung. Viel mehr müssten die Bewohner die Änderungen doch annehmen. Der Hintergrund: Viele Anwohner hatten bis jetzt eine Durchlaufleistung von 16kW, wobei 10kW laut Hollaichner bei den meisten Häusern ausreichen. „Sie müssen sagen, dass Sie weniger Leistung wollen“.

Die Anwohner fanden den Rechnungsversand hingegen alles andere als „unglücklich verlaufen“. Die Aussage, man müsse etwas einfach annehmen, kommentierte ein Betroffener mit den Worten „Die Rechnung war jetzt also eher eine Drohung.“ Trotzig antwortete Hollaichner, dann belasse man eben die höhere Anschlussleistung im Vertrag. Dies würde die Beibehaltung der Mehrkosten bedeuten.

Günstiger für alle? Nicht für große Anschlussleistungen

Das Problem der Hausbewohner sind nicht die – meist günstiger werdende Preise, wie auch eine anonymisierte Vergleichsrechnung der Stadtwerke zeigt. Bis jetzt hatten alle Anwohner den gleichen Grundpreis gezahlt. Diejenigen, die nun mehr Verbrauch haben, müssen mehr zahlen. Warum die Preise für „Großverbraucher“ höher werden, zeigt eine Vergleichsrechnung. Hatte ein Haus zum alten Tarif eine Anschlussleistung von 16kW – und benötigt diese auch weiterhin – so müssten die Bewohner gut 41 kWh verbrauchen, um vom „günstigeren Preis“ zu profitieren. Laut Aussagen der Bewohner wurde seitens Georg Kast versprochen, es werde billiger. Großes Gelächter bricht aus.

„Wie Kinder dargestellt“

Zu Beginn der Veranstaltungen war ein Vortrag zum Thema Fernwärme geplant. In diesem stellte Hollaichner die Vorzüge der Fernwärme dar. Immer wieder fielen Einwände und Fragen der Gäste dazwischen. Diese wurden Anfangs ignoriert.

Schließlich reicht es einer Person: „Wir wollen kein neues Heizkraftwerk haben. Es [das neue BHKW, a.d.R.] wurde einfach so beschlossen und vorgegeben. Und jetzt sitzen wir vor den Scherben“. Dem widersprach Hollaichner. Auch das alte Heizkraftwerk habe irgendwann einmal seine Lebensdauer erreicht. Die Anwohner konterten, die Heizungsanlage sei ja schließlich vorhanden. Auch Vergleich mit einem Auto, das irgendwann nicht mehr läuft, half nicht, die Stimmung zu beruhigen.

„Mir missfällt, dass wir als Kinder dargestellt werden“ stellte ein Anwohner klar. Schließlich wüssten die Anschlussinhaber selbst am besten, warum die Fernwärme gut ist. „Ich bin in der Hinsicht erbost, dass manche einfach 600€ mehr zahlen müssen“. Vorher habe es einen Gleichklang mit der Gemeinde gegeben, „keiner ist hinten dran gestanden.“ „Was jetzt passiert ist, ist […] enorm“. „Ich finde es bemerkenswert, dass sich Herr Kast oder ein Herr Bürgermeister nicht zur Verfügung stellt. Ich vermisse den gemeinsamen Weg.“

„Wir haben einen günstigen Preis“

Georg Reitsberger sicherte den Bewohnern jüngst zu, man wolle bezahlbare Wärme liefern. Das ist auch der Fall, zumindest meistens: Im Vergleich zu anderen Fernwärme-Anbietern der Region sowie zu anderen Heizmethoden sei man sehr günstig, wie eine – von den Stadtwerken entworfene – Grafik veranschaulichen soll. Diese stieß auf Skepsis bei den Anwohnern. Man war sich nicht sicher, ob die Werte zur Berechnung willkürlich gewählt waren und auf welcher Grundlage diese beruhen. Auch Erläuterungsversuche wurden seitens der Anwesenden eher ignoriert als angehört.

Der Gemeinde sei wichtig, ihren Bürgern ein passendes Preisverhältnis zu geben. Das günstige Preisniveau sicherte Reisberger den Bürgern in einem Brief zu. Das Ziel sei laut Stadtwerken keine Renditemaximierung. Dennoch konnten die Anwohner über den Satz „sie werden es nicht bereuen“ von Peter Dingler, Altbürgermeister, angesichts der Probleme mit den Abrechnungen, nur lachen. Viele Anwohner äußerten ihren Unmut, dass der Grundpreis erhöht wurde. Dies sei nicht mit der eigentlichen Idee der Siedlung, bei deren Bau die Anwohner dazu animiert wurden, möglichst energiesparend zu bauen, nicht vereinbar.

Verbrauchsberechnung

Was viele Anwohner nicht wussten oder wissen: Ein 10kW-Anschluss reicht in der Regel völlig aus, um das Haus zu heizen. Die theoretischen und praktischen Werte weichen nämlich voneinander ab, wie Hollaichner betont. Dadurch würde der Bereitstellungspreis, der sich aus einem Grundpreis und einer Gebühr pro kW Leistung über 10 kW berechnet, sinken und die meisten Haushalte sogar günstiger heizen. Einzig Kleinabnehmer – in etwa von 2kW pro Jahr – oder Großabnehmer von mehr als 10kW müssten gegebenenfalls mehr zahlen. Im letzteren Falle soll sich dies durch die höheren Betriebskosten, da ja eine größere Leistung bereitgestellt werden müsse, gerechtfertigt sein.

Eine seitens der Gemeindeverwaltung versprochene Prüfung des Anschlusswerts fand nicht statt.

Fehlerhafte Verträge

So wurden die Verträge versendet.

Das, was die Anwohner wohl am meisten verärgert hatte, waren die fehlerhaften Verträge, die sie zugeschickt bekommen hatten. Zum einen wurde willkürlich eine Anschlussleistung vorgegeben, zum anderen waren inhaltliche Fehler darin. So zum Beispiel stand in allen Verträgen ein Paragraph zum Baukostenzuschuss. Die Bewohner wollten diesen streichen lassen, zudem den Passus zu den Anschlusswerten. Im Vertrag befänden sich weiterhin viele Formfehler. Unter andrem verweist man darin auf „Querverweis nicht gefunden“.

„Können wir ja“

Hollaichner versprach, die Verträge neu aufsetzen zu lassen, nachdem jeder Kunde die gewünschte Anschlussleistung per Mail mitgeteilt hat. Allgemein zeigten sich die Stadtwerke kompromissbereit. Mehrmals fiel der Satz „können wir ja“, wenn man auf den Vertrag zu sprechen kam. Die fehlerhaften Verträge werden nun korrigiert. Die geforderten Streichungen seien überhaupt kein Problem, so Hollaichner. Demnächst würden neue Vertragsentwürfe versendet.

Die mit 10 Jahren sehr lang gesetzte Mindestlaufzeit werde ebenfalls auf Wunsch gekürzt, „können wir gerne machen“. Die Empfehlung der Stadtwerke sei eh eine kurze Mindestvertragslaufzeit. „Ich will, dass jeder zufrieden ist. Das schlimmste ist ein Anschlusszwang.“

Viele Fragen beantwortet

Nach der Veranstaltung waren viele Fragen der Anwohner beantwortet. Leiser wurde es aber nicht wirklich, man beriet sich weiterhin untereinander und stellte Fragen an die Stadtwerks-Vertreter. Einige davon blieben allerdings noch offen, der Großteil der Anwohner schien nach der Klärung der Streitpunkte aber einigermaßen zufrieden. Wohlmöglich lag der Fehler gar nicht an der Umstellung auf die neuen Tarife und Anschlussleistungen. Viel mehr war – wie so oft – die fehlerhafte Kommunikation und der fehlerhafte Vertrag die Ursache für den großen Unmut der Bewohner. Man wolle ja schließlich, so zumindest die Aussage der Rosenheimer Stadtwerke, ein „partnerschaftlicher Energiekonzern“ mit viel Erfahrung im Bereich Fernwärme sein.

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